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Achtsamkeitstraining in Zeiten von Corona (Teil 2/2)

Auch wenn der Krisenmodus langsam nachlässt, Lockerungen in aller Munde sind und die Gesellschaft langsam damit beginnt, in einen "neuen" Alltag zu starten, spüren wir immer noch, wie anstrengend und stressig diese Zeit für uns ist und war. Ruth Walter bietet bei der Caritas seit Jahren im Rahmen der Sucht- und Drogenberatung ein Achtsamkeitstraining an. Hieraus hat sie ein paar Grundlagen zusammengestellt, die auch eine Art "Schnupperkurs" darstellen können. In der letzten Ausgabe der Corona-News vom 07.05.2020 erschien dazu der ersten Teil. Seitdem sollte Zeit gewesen sein, die ersten Übungen einzuüben, um etwas mehr bei sich zu sein. Nun folgt der zweite Teil:

Vor zwei Wochen sind wir mit der „Instant-Variante" (einen kurzen Hinweis und praktische Übungen) gestartet - (nicht nur) für diejenigen von Ihnen, die eine sofortige und praktische Variante wünschen (weil sie der Meinung sind, nicht viel Zeit „verplempern“ zu wollen). Für diejenigen, die sich stärker in das Thema vertiefen wollen, habe ich das Thema hier etwas genauer erklärt.

Teil 2   Angst und Achtsamkeit

Wenn ich mit meiner gesamten Aufmerksamkeit ausschließlich in diesem gegenwärtigen Moment bin, kann ich wahrnehmen, dass mich momentan nichts wirklich bedroht – es sei denn natürlich, ich laufe über die Straße und ein Auto nähert sich. Oder ich habe aufgrund einer Corona-Infektion Atemnot. (Ich z.B. sitze hier im Moment am Computer, bin satt, die Vögel zwitschern draußen, die Sonne scheint mir auf die rechte Köperhälfte – mir ist angenehm warm). Sich der Gegenwart immer wieder bewusst zu werden, wahrzunehmen wie es mir derzeit geht, welche Bedürfnisse gestillt sind, hat häufig eine schöne Nebenwirkung: sich des Lebens zu erfreuen, bzw. wahrzunehmen, dass Freude am Leben unser natürlicher Zustand ist.

Ich vermute, vielen Menschen gelingt dieses immer mal wieder, wenn auch nur momenteweise. Darüber hinaus gibt es viele unbewusste Gedanken- und Gefühls-Prozesse, die in dem Moment bewusst werden können, in denen wir zur Ruhe kommen. Da diese beunruhigend sein könnten, neigen wir dazu, sie zu verdrängen, ihnen zu entfliehen wie z.B. durch Hyperaktivität und/oder mit Hilfe von Suchtmitteln.

Nun findet soeben, zumindest in einigen Teilen der Bevölkerung, eine Entschleunigung statt. Die Corona-Pandemie zwingt einige von uns, zu Hause zu bleiben. Termine fallen aus, Geselligkeit findet nicht mehr statt – viele Aktivitäten, die uns bisher Ablenkung ermöglichten, sind uns verwehrt.

Ich gehe davon aus, dass einer der zentralen Auslöser für die Hyperaktivität in unserer Gesellschaft häufig (unbewusste) Angst ist. Angst, nicht zu genügen, nicht genug zu haben, zu verarmen, krank zu werden, zu sterben, Dinge oder Menschen zu verlieren. Die „Verkopfung“ unserer Gesellschaft, eine Entfremdung von Körperlichkeit verstärkt diese Ängste. Wir sind nicht mehr in uns, in unserem Körper, in unserer Seele verwurzelt. Wir versuchen, mit dem Verstand einen Halt zu bekommen, den dieser nicht zu bieten vermag.

Der Verstand ist eigentlich ein wunderbares Instrument, um unseren Alltag zu organisieren. Da er einen - grandiosen – Hang zur Routine, zum Automatismus hat, bietet das ausgesprochen positive Lerneffekte, wenn es um Dinge geht wie Autofahren, Computer benutzen, handwerkliche Fähigkeiten etc.. Bei dem Versuch, eine Lösung für eine unbestimmte Angst zu finden, können aufgrund dieses Automatismus Gedankenschleifen entstehen, die immer um dieselben Themen kreisen. Die Corona-Pandemie, die auf verschiedenen Ebenen so viel Unsicherheit mit sich bringt, bietet sich regelrecht an, Gedankenschleifen zu produzieren, die ins Leere laufen. „…und kein Ende in Sicht….!“

Je stärker wir uns bei potentiellen Bedrohungen auf den Verstand konzentrieren und verlassen, desto mehr sind wir „verlassen“ – wir verlieren unser Selbst, das aus Körper, Geist und Seele besteht.

Beim Achtsamkeitstraining wird die Aufmerksamkeit nicht nur auf den Verstand gerichtet, sondern auf alle Wahrnehmungsebenen: Körpergefühl, Emotionen, Zustand des Geistes (Präsenz), der Raum, der uns umgibt. Mit der Einübung der Wahrnehmung des Hier und Jetzt wird das Bewusstsein für die Wirklichkeit geschult. Was ist Realität? Was ist reine Fiktion / Spekulation? Wir verlassen dann die Ebene des Sich-Sorgens um die Zukunft oder der (häufig kritischen) Analyse der Vergangenheit. Das bedeutet, wir steigen aus dem Hamsterrad des Gedankenkreisens (typisches Symptom bei Depression, Angst- und Zwangserkrankungen) aus. Haben wir die Qualität der häufigsten Gedankenmuster, die hinter den Gedankenschleifen stehen, entdeckt, können wir sie untersuchen und verändern. So kann aus einer negativen („Ich werde bestimmt an einer Corona-Infektion sterben!“) eine positive  werden („Im Moment bin ich in Sicherheit!“).

Die Zeitschrift „Der Spiegel“ schrieb bereits 2013 in einem Artikel über Meditation (eine sehr starke Methode des Achtsamkeitstrainings): Der Einfluss des präfrontalen Kortex auf die Amygdala kann durch Meditation verstärkt werden. Der Mensch reagiert so gelassener auf äußere Eindrücke. Er wird weniger anfällig für Stress und übertriebene Angstreaktionen.“ Eine innere Haltung, die uns leichter durch die derzeitige Krise führen kann.

Ich hoffe, Sie finden Freude an den Übungen und Sie entwickeln sanfte Disziplin und einen „Teflon-Geist“, an dem Alles Überflüssige abperlt. Ich wünsche Ihnen Allen eine entspannte, freudvolle und gesunde Zeit – und v.a. wünsche ich Ihnen ausreichend Zeit für sich selbst!

Viel Spaß beim weiteren Training!

Achtsamkeit - im hier und jetzt sein

Ruth Walter