Presseinfos „1 Jahr Tönnies-Lockdown“

Die Bedeutung von Suchtvorbeugung in der Corona-Krise

Die aktuelle Lage ist so einschneidend, dass andere Themen schnell in den Hintergrund geraten können. Das Team der Fachstelle für Suchtvorbeugung im Caritasverband, Madeleine Sandbote und Lars Riemeier, plädieren jedoch dafür, dass effektive Suchtvorbeugung auch helfen kann, diese Krise besser zu bewältigen: „In der Suchtvorbeugung geht es nicht nur um Aufklärung über Risiken des Substanzkonsums“, erklärt Madeleine Sandbote. „Sondern mindestens genauso wichtig ist eine sogenannte Resilienz bzw. die Förderung von Lebenskompetenzen. Sie helfen uns dabei, herausfordernde Lebensbedingungen abzufedern und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Das Ziel ist es, gesund – wenn nicht sogar gestärkt – aus diesen Situationen herauszukommen.“

Und die Corona-Krise ist für sehr viele in der Gesellschaft eine dieser herausfordernden Lebensbedingungen, die häufig dazu führen, dass Menschen zu Alkohol, Drogen oder Medien greifen, um besser mit ihr umzugehen. „Sie sind derzeit von Sorgen und Ängste geplagt oder haben besonderen Stress. Andere langeweilen sich aufgrund der sozialen Kontaktsperren. Alles das löst bei uns negative und ungeliebte Gefühle aus, die wir loswerden wollen“, ergänzt ihr Kollege Lars Riemeier. „Alkohol und Drogen suggerieren uns dann eine einfache und schnelle Problemlösung. Dem ist aber faktisch nicht so: Es ist höchstens eine kurzfristige Verdrängung, die jedoch schnell eine Abwärtsspirale in Richtung einer Abhängigkeitserkrankung auslösen kann. Und die aktuellen Verkaufszahlen von Bier und Spirituosen der letzten Wochen in Deutschland deuten darauf hin, dass aktuell mehr Alkohol konsumiert werde.

Menschen, die nun jedoch über verschiedene Strategien, Lebenskompetenzen oder Resilienz verfügen, können für sich konstruktiv mit der aktuellen Lage umgehen. Sie fühlen sich in der Situation nicht so schnell als Opfer, verfügen über verschiedene Wege sich zu entspannen, können Langeweile in Kreativität umwandeln oder können ihre aktuellen Gefühle ausdrücken und über sie reden – um nur einige Beispiel zu nennen.

Die große Herausforderung steckt jedoch in der Frage, wie kann es aktuell gelingen, die konstruktiven Kompetenzen zu entwickeln? Pädagogische Settings brauchen in der Regel die soziale Interaktion, um emotionale, soziale und personelle Kompetenzen zu fördern – nicht leicht für Bildungseinrichtungen wie Kitas, Schulen oder Jugendtreffs in Zeiten von sozialen Kontaktsperren. Die Präventionsfachkräfte haben aber drei Ansätze exemplarisch zusammengestellt, die auch aktuell verfolgt werden können:

1. Vorbildfunktion der Bezugspersonen – Lernen am Modell

Da Kinder jetzt noch intensiver mit ihren Eltern zusammen sind und wahrnehmen, wie  die Erwachsenen mit der herausfordernden Situation (Lock-down, Kurzarbeit,…) umgehen, zeigt sich aktuell auch die Rolle der Vorbildfunktion: Welche Problembewältigungsstrategien oder Verdrängungsmechanismen können sich unsere Kinder und Jugendlichen bei uns abschauen?

Studien zeigen, dass die Rolle der Eltern für die Suchtvorbeugung nicht zu unterschätzen ist. Diese gilt auch noch im Jugendalter. Gleichzeitig betont die Resilienzforschung auch die Bedeutung von weiteren Bezugspersonen (weiteren Verwandten, vertrauten Nachbarn, … aber auch pädagogischen Fachkräften wie Erzieher*innen, Lehrer*innen etc.). Sie können als Alternativmodell dienen und darüber viel Kraft bei den Kindern und Jugendlichen erzeugen.

2. Langeweile als Motor nutzen

Langeweile ist an sich nichts Schlechtes, jedoch in unseren Konsum- und Medienzeiten fast schon unbekannt bzw. ungewollt. Doch in ihr liegt die Energie Neues zu entwickeln, wenn es gelingt das unangenehme Gefühl der Langeweile auch aushalten zu können.

Das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ bedient sich u.a. an diesem Aspekt, in dem alles vorinterpretierte Spielmaterial aus den Einrichtungen verschwindet. So werden die Kinder motiviert, neue Spiele zu erfinden, andere Materialien zum Spiel zu nutzen (Tische, Decken, Besen, Knöpfe etc.) und neue Spielpartnerschaften einzugehen. Was sich erst einmal unmöglich anhört, funktioniert gerade mit den kleinen Kindern besonders schnell und gut. Vor Corona haben im Kreisgebiet sieben Kindertageseinrichtungen dieses Konzept bereits über mehrere Jahre durchgeführt und gute Erfolge erzielt.

Auch im Elternhaus kann derezit eine „abgespeckte“ bzw. veränderte Variante davon durchgeführt werden. Unten weiter findet sich eine Anleitung als Impulsgeber, wie dieses aussehen kann.

3. Musik aus Ausdrucksform

Es ist hinlänglich bekannt, dass Musik eine wirksame Ausdrucksform für Gefühle sein kann. Daher nutzt auch die Suchtvorbeugung mit Jugendlichen in NRW seit einigen Jahren diesen Weg, indem verschiedene Musikvideo- oder HipHop-Workshops mit Schulen und Jugendeinrichtungen durchgeführt werden.

Zum jährlichen HipHop-Wettbewerb der Landesintiative Leben ohne Qualm wurde nun auch ein Tutorial gedreht und auf Youtube veröffentlicht, wie ein HipHop-Song auch einfach zuhause produziert werden kann. Hier erklärt der Workshopleiter Hossam Ali (Pottpoeten, OZKA) in aller Kürze wie mit der kostenlosen App Voloco ein HipHop-Track erstellt werden kann.  Das Tutorial richtet sich an Jugendliche ab 10 Jahre. Der Song soll maximal 3 Minuten lang sein. Einsendeschluss ist der 31.12.2020. Weitere Infos zum Wettbewerb sind unter www.loq.nrw.de/hiphop zu finden. Und digitalen Kommunikationsformen, Videokonferenzen oder Chats, kann daraus auch schnell ein Gruppenbeitrag eines Jugendhauses oder einer Schülergruppe im Homeschooling werden.

Für weitere Ideen und Anregungen rund um das Thema Suchtvorbeugung ist das Fachstellen-Team derzeit am besten per Mail erreichbar: praevention(at)caritas-guetersloh.de.  

Suchtvorbeugung in der Corona-Krise

Madeleine Sandbote

Lars Riemeier